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["m.eik michalke" <cc AT reaktanz.de>]

hallo john,

am Mittwoch, 25. Januar 2006 15:40 schrieb John Wiedenhoeft:
> Vielleicht müssen wird uns ernsthaft fragen, ob wir nicht der Industrie
> und den Verwertungsgesellschaften in die Hände spielen. Wie seht ihr
> das?

ich sample erstmal einen altmeister in diese diskussion ;-)

"es gibt kein 'muß' in der kunst, die ewig frei ist. vor dem 'muß' flieht die 
kunst wie der tag vor der nacht. man sieht, daß das hängen an der 'schule', 
das jagen nach der 'richtung', das verlangen in einem werk nach 'prinzipien' 
und bestimmten, der zeit eigenen ausdrucksmitteln nur auf irrwege führen kann 
und zu unverständnis, zur verfinsterung, verstummung bringen muß. blind gegen 
'anerkannte' oder 'unanerkannte' form, taub gegen lehren und wünsche der zeit 
soll der künstler sein. sein offenes auge soll auf sein inneres leben 
gerichtet werden, und sein ohr soll dem munde der inneren notwendigkeit stets 
zugewendet sein. dann wird er zu jedem erlaubten mittel und ebenso leicht zu 
jedem verbotenen mittel greifen... alle mittel sind heilig, wenn sie 
innerlich-notwendig sind. alle mittel sind sündhaft, wenn sie nicht aus der 
quelle der inneren notwendigkeit stammen."
                                                          wassily kandinsky,
                                aus: "über das geistige in der kunst" (1911)

aus küntlersicher perspektive bin ich (als privatperson) ganz auf deiner 
seite. kandisky hatte am anfang des 20. jahrhunderts aber vielleicht auch gut 
reden und würde heute eventuell kaum noch zum malen kommen, weil sein kopf so 
schütteln muß. ein wenig dreht sich das ja auch um die frage, wie einem eine 
anordnung von farben, formen, worten oder noten "gehören" kann (von genen 
etc. ganz zu schweigen).

allerdings gibt es da auch viele menschen mit einer anderen wahrnehmung. für 
die ist es ganz selbstverständlich, daß derartiges einen privaten besitz 
darstellt, über den sie frei (haha...) verfügen können. dabei blenden sie 
meines erachtens aus, daß ihr kreatives "produkt" niemals ohne den direkten 
oder indirekten einfluß ihrer kulturellen umwelt hätte zustande kommen 
können. daher ist in meinen augen eigentlich jede noch so hochgeistige 
leistung wenig mehr als eine (immerhin bemerkenswerte) rekombination bereits 
dagewesenen, oder ein reflex auf das erfahrene.

wie auch immer, ich hielte es auf einem _politischen_ weg für ungünstig, 
menschen mit dieser "anderen wahrnehmung" zu begegnen, indem man ihre sicht 
der welt einfach ignoriert, d.h. die immerhin geltenden rechte nicht 
anerkennen möchte. aus einer wachsenden zahl überlegt frei lizenzierter werke 
kann mit der zeit eine zwangsläufig expandierende (die lizenzen lassen ein 
schrumpfen ja gar nicht zu) alternativkultur entstehen. es bleibt zu hoffen, 
daß ab einer kritischen größe ein rückgriff auf werke der "alten auffassung" 
nicht mehr so notwendig erscheint wie noch heute. parallel dazu ist es auch 
nur eine frage der zeit, bis herkömmlich geschütze inhalte gemeinfrei werden 
(75 jahre nach tod der schaffenden, korrekt? oder hat disney schon etwas 
längeres herausgeklagt?). insofern sehe ich es gerade als herausforderung 
(mit weiter zeitlicher perspektive), _jetzt_ möglichst viele künstler/innen 
von der wichtigkeit eines freien umgangs mit ihren werken zu überzeugen, bzw. 
sie in eine diesbezügliche diskussion zu verwickeln.

mich wurmt das ganze auch konkret: die /'angstalt/ hat jahrelang an einem 
stück basierend auf dem letzten else lasker-schüler-drama "ichundich" 
gearbeitet. jetzt sagt der rechteverwertende suhrkamp-verlag, man untersage 
"eine collagierung mit fremden inhalten" (es sind auch eigene textstellen 
enthalten). damit ist dieses 12-minuten-stück einfach mal nicht mehr zu 
veröffentlichen. sie haben es nicht einmal hören wollen. ich finde, da 
bekommt man einen sehr guten eindruck, in welcher form geltendes recht die 
schaffung kreativer arbeit fördert. davon abgesehen war es ein akt, überhaupt 
eine antwort zu erhalten; letztendlich habe ich kommentarlos eine sammlung 
eigener texte eingeschickt, um mit der erwarteten ablehung des "manuskripts" 
einen fuß rein zu bekommen...
[im übrigens ist das ganze original-drama ein regelrechtes collage-werk; eine 
bewußte fortführung von goethes faust, und die autorin läßt die protagonisten 
ihre eigenen gedichte zitieren. allein das macht die position des verlags für 
mich absurd.]


viele grüße & sorry für so lang... ;-)

m.eik

-- 
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